
„Zwischen Welten“ ist ein Gesellschaftsroman von Juli Zeh und Simon Urban, welcher in der Jetztzeit spielt und im Jahr 2023 beim Luchterhand Verlag erschienen ist.
Die Protagonisten des Romans sind Stefan und Theresa. Die beiden verbindet eine gemeinsame Vergangenheit. Vor zwanzig Jahren teilten sie sich eine Studenten-WG in Münster sowie den Hang zu weingeschwängerten Diskussionen über das Leben, die Welt und das Sein. Nun begegnen sie sich zufällig in Hamburg wieder und müssen feststellen, dass sie inzwischen in getrennten Welten leben. Trotz eines alkoholgestützten Streits an der Außenalster bleiben sie in Kontakt und nehmen uns auf einen intensiven Briefwechsel via WhatsApp bzw. E-Mail mit. Dabei wird der Leser direkt in die heutige Streitkultur geworfen. Es wird mit Argumenten wild um sich geschlagen, unerbittlich gestritten und bis unter die Gürtellinie beleidigt. Dies ist stellenweise so unangenehm, wie die meisten Kommentarspalten im Netz.
Stefan verkörpert hierbei den modernen, großstädtischen Intellektuellen. Er ist Redakteur bei der größten deutschen Tageszeitung und versucht mit Mitte Vierzig zwanghaft dem aktuellen Zeitgeist zu entsprechen. Er setzt sich für das Gendern, den Feminismus, die grüne Revolution und den Erhalt der Demokratie ein. Dabei ist er herrlich borniert, über jeden Zweifel erhaben. Wäre Stefan nicht so selbstgerecht, könnte man ihm größtenteils zustimmen. Aber dieses Buch hat mir einmal mehr vor Augen geführt, dass es nicht reicht, wenn ein Mann in seiner Midlife-Crisis die Wichtigkeit des Genderns für sich entdeckt und im Gegensatz hierzu sich in Allmachtsfantasien über die Rettung des schwächeren Geschlechts ergeht.
Als Landwirtin in Brandenburg, stellt Theresa hierzu den klassischen Gegensatz dar. Sie fühlt sich von der Politik und der Gesellschaft im Stich gelassen. Stoisch begegnet sie den Widrigkeiten, welche ein landwirtschaftlicher Betrieb mit sich bringt. Dabei reibt sie sich zwischen Familie, Führung des Betriebes und den Verordnungen aus Brüssel auf. Man kann verstehen, dass sie frustriert ist, dass sie keinen Sinn für diese Kinkerlitzchen in Form vom Gendern hat. Sie hat echte Probleme. Die Dumping Lebensmittelpreise, auslaufende Subventionen, afrikanische Schweinepest und das Wetter. Gegen all das ist sie machtlos und niemand hört zu. Mit genau dieser Frustration und all der Erschöpfung begegnet sie Stefan. Theresa ist beleidigend, unerbittlich und hart. Auch ihre Ansichten kann man aus diesem Blickwinkel verstehen, aber die subversive Entfremdung aus der politischen Mitte schockiert.
Zunächst dreschen sie ohne Rücksicht aufeinander ein. Dabei lernen wir die jeweiligen Lebensumstände sowie Zwänge besser kennen. Im Verlauf des Buches wird der Ton zunehmender verständnisvoller und zugänglicher, aber leider nicht reflektierter. Und so kommt es wie es kommen muss, sie bestätigen jeder auf seine traurige Weise das Klischee.
Anfänglich konnte ich nicht verstehen, weshalb die beiden, bei so heftigen Meinungsverschiedenheiten, trotzdem Kontakt halten. Geschieht dies nur zum plumpen Selbstzweck des Buches?
Auf den zweiten Denker ergibt dieses Verhalten jedoch Sinn. Theresa und Stefan wollen sich mitteilen, sie genießen die kleine Plattform und das sich jemand Zeit nimmt. Genau dieses egozentrische Verhalten können wir doch im realen Leben ständig beobachten. Zwei Menschen sitzen sich gegenüber und warten nur darauf, dass sie endlich ihre eigenen Erlebnisse und Sichtweise äußern können. Dabei nehmen sie den Gegenüber schlicht nicht wahr.
Alles in allem wirkt die Geschichte inszeniert, die Figuren wirken wie Projektionsflächen für die Abbildung unserer polarisierenden Gesellschaft. Das Buch schreit dich förmlich an: „Schau her! Ich bin gekommen, um dir etwas zu sagen!“ Und dennoch oder gerade deswegen ist es ein wichtiger und lesenswerter Roman. Die Lektüre hat in mir die Frage aufgeworfen, was wird man in zwanzig, dreißig Jahren über das Buch denken? Belächelt man dieses infantile Gezanke auf dem Pausenhof des Internets oder schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen, weil niemand die Zeichen richtig gedeutet und etwas unternommen hat?